Ich hatte meine erste akute Psychose mit 16. Kam aus dem Nichts, davor war ich denke ich objektiv gesehen ziemlich normal. Ich weiß noch ganz genau, wie ich in einem ÖPNV-Bus saß der auf einer Straße entlang einiger Hügel unterwegs war und ich plötzlich unter diesen Hügeln die großen Zahnräder sehen konnte die die Welt am Laufen halten. Am nächsten Tag liefen abends auf dem Nachhauseweg Abermilliarden von Ameisen hinter mir her, eine Masse die so groß war, dass sie die Ausmaße einer Art schwarzen Wurms hatte der den Durchmesser eines Autos aufwies. Sie hielten einen respektvollen Abstand und blieben dann auch vor dem Haus. Die Sache mit den Zahnrädern erschien mir völlig logisch, die mit den Ameisen etwas seltsam. Da sich hier auch direkt auch schon die Paranoia zeigte die meine Psychosen später dauerhaft begleiten würde, sprach ich mit niemandem darüber. Im Laufe der nächsten beiden Jahre kam und ging es immer mal wieder. Als ich dann allerdings volljährig wurde und nicht mehr jeden Tag im Haus meiner Eltern lebte, geriet dann alles sehr schnell aus den Fugen.
Ich ging nur noch selten zur Schule, was niemanden interessierte weil ich meine Abwesenheiten ja nun selbst unterschreiben konnte und sonst niemand darauf achtete. In einem einzigen Schuljahr kam ich auf 100 Fehltage. Durch die fehlende Tagesstruktur schlief ich viel zu wenig und falsch, was wirklich horrende Auswirkungen auf die Psychose hatte, und eines Tages flog dann durch eine Art "Suizidversuch" (ich hatte nicht vor, grillen zu gehen, ich war einfach überzeugt davon, fliegen zu können, und wollte es mal ausprobieren) doch alles auf. Man steckte mich für sechs Wochen in die geschlossene Psychiatrie, ohne sich dort allerdings wirklich um irgendwas zu kümmern. Ich bekam einfach nur Psychopharmaka und hatte alle drei Tage eine Stunde "Therapie", dazwischen war ich mir selbst überlassen. Entsprechend gab es auch keinen Plan für die Zeit nach meiner Entlassung. Ich ging nicht zu den freiwilligen Therapiesitzungen, nahm die Medikamente nicht und verhielt mich aus reiner Paranoia möglichst kooperativ meiner Familie gegenüber um nicht nochmals eingesperrt zu werden. Kurze Zeit später zog ich weg und schlug mich danach irgendwie durch.
Die akuten Psychosen sind nach einigen Jahren zu einer konstanter Derealisation, einer Art Solipsismus, geworden. Ich bin eigentlich nie wirklich davon überzeugt, dass meine Sinneseindrücke und damit die Welt tatsächlich real sind. Träume und Wirklichkeit kann ich selten auseinander halten. Ich habe gelernt damit zu leben und einfach alles was nicht jetzt in diesem Moment konkret hinterfragt werden muss nicht mehr zu hinterfragen. Unter meinen Arbeitskollegen gelte ich als jemand der eigentlich nicht überrascht werden kann. Mein Gehirn hat schon so endlos viel Mist zusammen fantasiert den ich einfach beiseite schieben und mich statt dessen auf die gerade für das Überleben wichtigen Dinge konzentrieren musste, was sind im Vergleich dazu schon ein Todesfall, eine Insolvenz, etc.
Ich kann dadurch allerdings auch nie einordnen ob meine "Erinnerungen" tatsächlich wahr sind oder aus Versatzstücken von Realität, Träumen und Wahnvorstellungen bestehen, was Beziehungen zu anderen Menschen eigentlich unmöglich macht da sie auf gemeinsamen Erlebnissen und Kontext basieren. Menschen fragen ständig "weißt du noch?" und ich weiß es halt oft nicht. Den Rest erledigt die unterschwellig immer vorhandene Paranoia. Ich habe nie jemanden an mich ran gelassen und bin niemals Teil irgend einer Gruppe geworden weil immer der Verdacht da ist, dass diese Menschen eine solche "Schwäche" irgendwann gegen mich ausnutzen werden. Kaum eine private Beziehung hat mal länger als ein oder vielleicht maximal Jahre gehalten bis ich sie abgebrochen habe.